Schachverein Sondernheim e.V. 1952

Die Welt auf 64 Feldern

Schach denken

Schon in einer Kleinstadt wie Germersheim gibt es eine Vielzahl von guten und sinnvollen Angeboten für Kinder und Jugendliche. Man kann zwar kein Eishockey spielen, aber es gibt einen tüchtigen Turnverein, Volleyball, Fußball, eine Musikschule, zahllose Kampfsportvereine. Ein Karateverein wirbt gar mit Zusatzqualifikationen (positive Persönlichkeitsentwicklung, Selbstbehauptung, Frustrationstoleranz, Selbstkontrolle).

Schachspielen schult ganz spezifische Fähigkeiten, die weder im Schulunterricht noch bei anderen Sportarten im Vordergrund stehen.

Was für den Schachsport spricht

  1. Konzentrationsfähigkeit. Eine gewöhnliche Turnierpartie kann sich über mehrere Stunden hinziehen. Jeder einzelne Zug erfordert Aufmerksamkeit und Konzentration. Wie Lauffaulheit im Fußball wird Denkfaulheit vom Gegner sofort bestraft. Ich kenne keine Sportart, keinen Unterricht, der eine derartige Aufmerksamkeitsspanne abfordert.
  2. Tiefes Denken. Anders als im Religions- oder Deutschunterricht kommt man mit ungenauen Gedanken, mit Vermutungen und Glauben, mit seichtem Gerede, nicht durch. Schach ist ein sehr konkretes Spiel, enthält der eigene Gedankengang einen Fehler, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass ein würdiger Gegner den Fehler auch findet und bestraft.
  3. Mit Fehlern umgehen. Schach ist ein schwieriges Spiel. Auf jedem Spielniveau werden ständig Fehler gemacht, auch dem Weltmeister unterlaufen ständig Fehler. Zug um Zug wird vom Spieler eine Entscheidung verlangt, die Züge können nicht rückgängig gemacht werden. Nach jedem Spiel ist eine Partieanalyse angesagt, man versucht, aus Fehler für die Zukunft zu lernen.
  4. Querdenken. Ganz anders als die sogenannten Querdenker auf der Straße werden Schachspieler intensiv im Querdenken geschult. Faszinierende taktische und strategische Winkelzüge sind möglich. Aber keine Spinnereien. Eine mögliche Variante kann genial aussehen, enthält sie aber ein „logisches Loch“ kann der würdige Gegner die Verteidigungsresource finden und für sich ausnutzen, die Partie geht verloren.
  5. Geistige Leistungsfähigkeit einordnen. Niemand wird sich selber überschätzen, der eine Reihe von Schachpartien verloren hat, weil der Gegner sich als der bessere Querdenker erwiesen hat. Dieser Lektion muss man sich stellen.
  6. Konkret denken. Oft sieht man in Talkshows, wie Politiker davonkommen, obwohl sie inkonsistente Argumente und Positionen vertreten. Im Schach muss man tatsächlich bis zum Ende denken. Fehler werden von würdigen Gegnern hart bestraft, es gibt keine Ausreden. Denn Schach hat nichts mit Glück zu tun. Das Schachbrett ist für beide Spieler offen einsehbar. Wer einen Tick genauer und tiefer denkt, wird gewinnen.
  7. Langsames Denken. Der Psychologe Kahnemann wurde vor einigen Jahren berühmt mit einem Buch, in dem er zwei verschiedene Denkweise vorstellte. Das erste Denksystem ist schnell, automatisch, unbewusst, und basiert auf Emotionen. Das zweite Denkystem ist bewusst, angestrengt, logisch, rational, langsam. Beide Denksysteme werden im Schach geschult.

Verschwiegen sollen aber auch nicht die Schattenseiten des Spieles.

  1. Kriegsspiel. Schach ist ein nicht kooperatives Kriegsspiel. So ist es konzipiert. Es gibt einen Sieger, einen Verlierer. Gemeinsam musizieren ist etwas ganz anderes.
  2. Kein echter Mannschaftssport. Es gibt Schachteams, aber letztlich spielt jeder sein eigenes Spiel. Sich intensiv auf die Mitspieler des eigenen Teams einstellen, ein gemeinsames Spielsystem zelebrieren, das gibt es im Fußball, im Handball, aber nicht im Schach.
  3. Eigenbrödler. Es gibt Ausnahmen, aber selten tun sich geniale Schachspieler außerhalb des Schachbretts in Politik und Gesellschaft oder Beruf hervor. Die Fähigkeiten eines Schachspielers sind sicherlich nützlich, aber Erfolg im Leben erzielt der Schachspieler nicht zwangsläufig.
  4. Zeitverschwendung. Albert Einstein wollte nicht Schach spielen. Seine geistigen Fähigkeiten investierte er lieber zum Wohle der Menschheit (zumindest bis zur Bombe) in die Physik.

Uwe Seelinger